Erstmal zu meiner Person: Ich bin mittlerweile 44 Jahre alt und habe eine gesunde, wunderbare siebzehnjährige Tochter und einen großartigen Ehemann. Die Diagnose Loeys-Dietz-Syndrom habe ich im Alter von 30 Jahren bekommen, da war meine Tochter gerade drei Jahre alt. Es war ein echter Schock! Am schlimmsten war die Angst, dass ich die Erkrankung an meine Tochter weitergegeben haben könnte. Diese Angst hat einfach alle anderen Probleme in den Hintergrund gerückt.
Natürlich hatte ich schon das eine oder andere Symptom, bevor meine Tochter zur Welt kam, hatte aber keine Ahnung, dass die meisten Symptome zu ein und derselben Erkrankung gehören. Noch vor der Familienplanung vor einigen Jahren hat mal ein Kardiologe beim Abschied zu mir gesagt: „Ach übrigens, Sie haben das Marfan-Syndrom“, worauf ich antwortete: „Aha, dankeschön und einen schönen Tag noch“.
Aber wie das so ist, will man es ja dann doch genauer wissen und fragt „Dr. Google“. Oh Mann, was ich da gelesen habe, wollte ich aber absolut nicht haben. Und so habe ich meinen Hausarzt gefragt, ob es sein kann, dass ich dieses Marfan-Syndrom habe. Mein Hausarzt war sich auch nicht sicher und hat mich dann in eine Poliklinik für Genetik geschickt. Dort wurde ich vermessen, gewogen, fotografiert, und sämtliche ärztliche Unterlagen wurden geprüft. Im Anschluss bekam ich ein sehr langes Schreiben mit dem Ergebnis, bei mir liege kein Marfan-Syndrom vor und es wären Zufälle und viel zu wenige Symptome, um mein Blut untersuchen zu lassen. Jippie, der Familienplanung stand also nichts mehr im Weg, außer vielleicht die noch nicht abgeschlossene Ausbildung. Und so kam dann einige Zeit später unsere wundervolle Tochter zur Welt, und alles war wunderbar! Natürlich hatte ich noch meine gesundheitlichen Probleme, aber die waren hauptsächlich orthopädischer Natur, und mit denen hatte ich ja gelernt umzugehen.
Da ich im Alter von vierzehn Jahren eine Herz-Ductus Operation hatte, ging ich regelmäßig, alle paar Jahre, zur Routineuntersuchung zum Kardiologen. Als dann dort eine leichte Mitralklappen-Insuffizienz festgestellt wurde, und auch dieser Kardiologe wieder vom Marfan-Syndrom anfing, wurde ich zu einer humangenetischen Praxis geschickt, da sich der Stand der Medizin in den letzten Jahren weiterentwickelt hatte und daher mein Fall nochmal untersucht werden sollte.
Durch die Praxis für Humangenetik wurde ich wieder sehr umfangreich untersucht und auch an andere Fachrichtungen überwiesen. Schließlich wurde mir Blut abgenommen und eingeschickt. Natürlich hat mich die Ärztin aus der Humangenetik informiert, welche Krankheiten bei mir in Frage kämen. So begann das Warten, und es meldete sich natürlich auch wieder dieser „Dr. Google“.
Ich bekam dann nach einiger Zeit einen Anruf aus dem Labor, das mir den Zwischenstand mitteilte, es sei nicht das Marfan-Syndrom - was mich natürlich erstmal riesig gefreut hat. Wieder einige Zeit später rief mich die Humangenetikerin an und teilte mir mit, man habe bei mir eine interessante Mutation festgestellt, die so noch nicht vorkam. Sie bat mich darum, auch das Blut meiner Tochter und meiner Eltern untersuchen zu dürfen, weil es ebenso interessant wäre. Natürlich stimmte ich zu und besuchte einige Zeit später mit meiner Tochter und meinen Eltern zusammen die Praxis. Die Untersuchungen und Blutabnahmen nahmen ihren Lauf, und als wir alle der Ärztin gegenübersaßen, dachte ich mir, ich frag einfach mal, ob man schon sagen könnte, welche Erkrankung es denn bei mir wäre, wenn überhaupt.
Und dann kam es! Die Ärztin schaut kurz von ihren Unterlagen auf, blickt mich an und sagt: „Ja, Sie haben das Loeys-Dietz-Syndrom!“ Pamm! Da sitze ich da, mit meiner süßen Tochter auf dem Schoß und in meinem Kopf fängt es an zu rattern und man kann es einfach nicht aufhalten. Ich habe gar nicht über mich selbst nachgedacht, ich hatte ab diesem Zeitpunkt einfach unfassbare Angst, die Erkrankung an meine Tochter weitergegeben zu haben. Die Ärztin hatte mir ja ausführlich beschrieben, dass die Chancen dafür 50/50 stehen. Von da an begann das unerträgliche Warten. Natürlich hat mir die Ärztin auch gesagt, dass Loeys-Dietz nicht bei jedem gleich ausgeprägt ist und es auch aggressiver als bei mir verlaufen kann. Das hat mich echt nicht beruhigt!
Dann am 23. Dezember, der Christbaumständer gibt gerade seinen Geist auf, klingelt das Telefon. Ich hechte zum Telefon, aber zu spät, Mist! Die Nummer sagt mir nichts, aber egal ich rufe einfach zurück. Und tatsächlich, es war meine Ärztin, die mir unbedingt noch vor Weihnachten das größte Geschenk seit der Geburt meiner Tochter machen wollte: Meine Tochter hat es nicht von mir geerbt! Ich habe geschrien, geweint, gelacht und mir kommen auch jetzt beim Schreiben wieder die Tränen, es ist einfach ein unglaubliches Glücksgefühl! Meine Tochter darf spielen, laufen, sich anstrengen und einfach tun und lassen was sie möchte, wie jedes andere Kind auch.
Seit der Diagnose habe ich mein Leben natürlich (ein wenig) an die Erkrankung angepasst, aber ich lebe, und ich verschließe mich nicht aus Angst, es könnte etwas mit mir passieren. Es wäre dumm nicht auf sich zu achten, und man hat als Mutter schließlich auch eine Verantwortung. Aber man sollte niemals aufhören zu leben und sich der Krankheit hingeben. Ich habe Loeys-Dietz, und das ist jetzt so, aber ich bin doch keine Diagnose, ich habe doch auch Hobbies, einen Job, Freunde, Familie und Dinge, die mir Spaß machen, also lebe ich weiter und genieße mein Leben mit all seinen Hochs und Tiefs.
Ich weiß, dass ich im Vergleich zu all den möglichen Symptomen beim Loeys-Dietz-Syndrom noch echtes Glück gehabt habe. Die rein äußerlichen Merkmale, wie die dünnen langen Finger oder das gespaltene Zäpfchen lasse ich an dieser Stelle mal beiseite. Ich kam mit Klumpfuß zur Welt, habe stark überdehnbare Gelenke, Skoliose, einen Beckenschiefstand, einen schiefsitzenden Atlaswirbel, ein verkürztes Bein, ein stark instabiles Knie mit rausspringender Kniescheibe, einen Schuhgrößenunterschied von vier Größen, ein Kavernom (Gefäßanomalie) im Kopf und was mich am meisten stört: Migräne. Die instabilen Gelenke und die Abnutzung machen mit den Jahren natürlich zunehmend mehr Probleme, und leider habe ich echt sehr wenige Muskeln. Aber was soll`s: Das macht mich dann eben „drahtig“.
Leider hatte ich auch ein wenig Pech bei der einen oder anderen orthopädischen Operation, aber Aufgeben ist halt keine Option, und man lernt ja damit zu leben und macht einfach das, was funktioniert, und das ist immer noch besser als gar nichts zu machen. Außerdem bin ich wirklich dankbar, denn ich kann gehen, schwimmen, Fahrrad fahren, arbeiten gehen und ein halbwegs normales Leben führen. Wobei immer die Frage bleibt, was ist eigentlich normal?
Mein Fazit ist, man kann mit Loeys-Dietz leben, man muss auf sich achten, aber man darf das Leben nicht vergessen. Aber neben all dem Optimismus bleibt meine größte Angst, die mir diese Diagnose macht, dass sie unberechenbar sein kann und es möglich ist, dass ich meine Familie viel zu früh im Stich lassen könnte. Und da bin ich dann auch mal egoistisch und denke, ich möchte doch all die wunderbaren Dinge mit ihnen zusammen erleben, mit ihnen lachen, Spaß haben und für sie da sein.
Im Übrigen finde ich es wunderbar, wenn ein Arzt mich nicht mit großen Fragezeichen in den Augen ansieht, wenn ich ihm erzähle ich habe das LDS.
/ C. D.