Herz- und Gefäßerkrankungen beim Marfan-Syndrom
Herz-Kreislauferkrankungen sind die Ursache von über 90% aller ernsten Komplikationen bei Menschen mit Marfan-Syndrom, die nicht rechtzeitig diagnostiziert und behandelt werden. Am häufigsten ist die Erkrankung der großen Körperschlagader, der Aorta. Durch ihre, sich meist über mehrere Jahre unbemerkt entwickelnde Aussackung (Aneurysma), kommt es zur Aortenklappeninsuffizienz (Undichtigkeit der Herzklappe zwischen linker Herzkammer und Aorta) und, meist plötzlich, innerhalb weniger Minuten, zur Längsspaltung der Aorta mit Ausprägung eines zweiten Flusskanals in ihrer mittleren Wandschicht (Aortendissektion). Aortendissektionen gehen mit heftigen Schmerzen in der Brustgegend einher und führen innerhalb von 14 Tagen bei 80% aller unbehandelten Patient:innen zum Tode.
Bei Kindern mit schweren Formen des Marfan-Syndroms kann es zu einer Herzschwäche kommen, die auf einer Undichtigkeit der Mitralklappe (der Herzklappe zwischen linkem Vorhof und linker Herzkammer) oder in seltenen Fällen einer Herzmuskelschwäche beruht.
Durch rechtzeitige Erkennung des Marfan-Syndroms und vorbeugende Maßnahmen kann die Entwicklung der lebensgefährlichen Komplikationen im Herz- und Gefäßsystem verhindert werden. Deshalb ist die Lebenserwartung optimal betreuter Marfan-Patient:innen heute als nahezu normal anzusehen. Die Säulen einer solchen Betreuung sind:
- Anpassung der Lebensweise an die Erkrankung: Als Sport beispielsweise eignen sich Schwimmen, Radfahren und Langlauf, wenn sie nicht wettkampfmäßig betrieben werden. Kontaktsportarten, das Tragen schwerer Lasten und isometrische Übungen sollten vermieden werden.
- Endokarditisprophylaxe, d.h. Antibiotikagabe bei allen chirurgischen Eingriffen, bei Zahnbehandlungen und bei bakteriellen Infekten. Nur bei intakten Herzklappen kann auf eine intravenöse Antibiotikagabe verzichtet werden.
- Einnahme von Beta-Blockern zur Verlangsamung der Aortenwurzelerweiterung
- Jährliche oder halbjährliche Kontrolluntersuchungen des Herz- und Gefäßsystems mittels Ultraschall oder Kernspinntomographie.
- Gegebenenfalls eine Operation an den Herzklappen oder der Aorta, um die Entwicklung schwerer Komplikationen zu verhindern. Eine solche geplante, vorbeugende Herzoperation wird heute mit nur sehr geringem Risiko für den Patienten durchgeführt. Notoperationen an der Aorta sind - wenn sie schnell nach Einsetzen der Symptome durchgeführt werden - zwar meist auch erfolgreich, dennoch kommt es im Verlauf vergleichsweise häufig zu Komplikationen mit der Notwendigkeit von Zweiteingriffen.
Prof. Dr. Yskert von Kodolitsch (MBA), Kardiologie, Universitäres Herzzentrum Hamburg-Eppendorf (UKE) / 2015